Plagt Dich das Zipperlein, musst Du sparsam mit dem Essen sein!!!
Freitag, Januar 30th, 2015Als ich kürzlichst einen alten Bekannten traf, staunte ich nicht schlecht! Kam er doch hinkend zum Termin. Da ich davon ausging, dass es sich um eine Sportverletzung handelte, meinte ich etwas schnippisch: “Na – beim Tennis einem Sandkorn ausgewichen!” Er verneinte und meinte nur ganz leise: “Nein – Gicht!” Ich war wie von den Socken. Schliesslich ist mein Bekannter erst knapp über 40, war immer schon sehr sportlich und kann es sich aufgrund seines Jobs nicht leisten, über den Durst zu trinken, da er tagtäglich als Referent vor einigen zig Leuten steht. Und damit bin ich schon mitten drin, im Klischee-Denken unserer Gesellschaft:
Alle Menschen, die unter Gicht leiden, sind Alkoholiker!
Inzwischen – nach all diesen Recherchen jedoch – bin ich wesentlich weiser geworden und denke mir, dass endlich aufgeklärt und umgedacht werden sollte.
Die Gicht oder auch Urikopathie ist eine Stoffwechselerkrankung. Ausgelöst wird sie durch die Zersetzung von Eiweissen. Als Endprodukt entsteht Ammoniak. Dessen Vorform, die Harnsäure lagert sich in Form von Kristallen in den Gelenken ab und verändert die Knochen- und Knorpelsubstanz. Solche zerstörten Gelenke wurden u.a. auch beim Tyrannosaurus Rex entdeckt! Die Gicht erfolgt zumeist in Schüben, die jedoch unbehandelt chronisch werden und ineinander übergehen können. Ansonsten klingen sie zuhauf nach einer Woche aus. Hinterlassen jedoch Spuren: Neben der Schädigung des Bewegungsapparates kann es auch zu einer Niereninsuffizienz kommen. Die Niere ist neben der Leber das grosse Entgiftungsorgan des Menschen. Hier wird das Blut von Schadstoffen gereinigt, sodass diese nicht mehr über das kilometerlange Transportsystem der Adern und Venen im Körper zirkulieren oder sich dort gar – wie in diesem Falle – absetzen können. Harnsäure (chemisch C5H4N4O3: 2,6,8-Trihydroxypurin oder auch Purin-2,6,8(1H,3H,9H)-trion) entsteht beim Abbau von Purinbasen (Nukleinsäureabbau) und ist ein Abfallprodukt des Stoffwechsels, nicht nur beim Menschen – auch etwa bei Vögeln. Chemisch ist die HS eigentlich eine schwache Säure, die weisse geruchlose Kristalle ausbildet. In Wasser nur sehr schwer löslich, ist dies in basischen Flüssigkeiten sehr leicht machbar. An dieser Stelle möchte ich nicht detailliert darauf eingehen, wie der Körper diese Säure bildet. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass der Harnstoff durch Urease zuletzt zu Ammoniak und Kohlendioxid umgewandelt wird. Rund 75 % der Säure werden über die Nieren herausgefiltert, der Rest durch den Darm, aber auch durch die Schweiss- und Speicheldrüsen. Der Mensch und mit ihm auch die menschenähnlichen Schimpansen, Gorillas und Orang-Utas (Hominiden) besitzen einen wesentlich höheren Harnsäurespiegel als die anderen Säugetiere. Dies bewirkt die Niere durch einen Anionentausch. Harnsäure wirkt übrigens antioxidativ – eigentlich ja positiv für den Körper. Wird nun die Harnsäure aus irgendeinem Grund nicht mehr aus dem Blut gefiltert (rund 800 mg pro Tag bei einem Harnsäurespiegel von 6 mg/dl), so führt es zu einer Übersäuerung des Blutes (Hyperurikämie) und einer abschliessender Ablagerung der Kristalle (Urolithe). Meist an solchen Stellen, die am weitesten vom Herzen entfernt sind, wo also das Blut nicht mehr jene Körperwärme erzeugen kann, die es an anderen Stellen produziert. Das ist meist das Gelenk des grossen Fusszehs. Hier lagert sich vornehmlich das Mononatriumurat an und schädigt das Gelenk nachhaltig. Auch als Nierensteine können sich die Kristalle absetzen und die Funktion dieses wichtigen Organes schmerzhaft beeinträchtigen.
Auslöser für eine solche anormale Harnsäure-Erhöhung können die unterschiedlichsten Krankheiten sein: Etwa ein chronisches Nierenversagen (Niereninsuffizienz) oder Hämoblastosen, aber auch spezielle Medikamente (wie etwa zur Entwässerung), die Zerstörung von Tumorzellen (durch Strahlentherapie) oder eine falsche Ernährung durch stark fructose- bzw. purinhaltige Lebensmittel. Und nun erst kommt unter Umständen der Alkohol in’s Spiel: Ethanol nämlich hemmt die Harnsäureausscheidung, da die Niere zuerst die Carbonsäuren, dann erst die Harnsäure herausfiltert. Der Harnsäuregehalt im Blut wird durch einen Enzymtest (mit Photometrie) bzw. dem Eindampfen mit Salpetersäure (mit dem Versetzen der Ammoniak-Lösung) bestimmt.
Soweit die Biochemie und die Medizin. Wissenschaftler, allen voran Giovanni Battista Morgagni, ein Professor in Padua, und der Schwede E. Kylin (Entdecker des “Metabolischen Syndroms” MetS – vielleicht mal Inhalt eines anderen Blogs!) entdeckten nun einen Zusammenhang zwischen Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und der Gicht. Deshalb wird die Erkrankung auch gerne als “Wohlstandskrankheit” bezeichnet. Früher hatten sie meist die Adeligen und Reichen, die sich das Leben im Überfluss leisten konnten. Heutzutage jedoch ist es meist umgekehrt, denn gesundes Leben kann sich nicht mehr jeder leisten. Etwa heimisches Obst oder Gemüse, das möglichst viele Vitalstoffe beinhaltet, da es nicht während des Transportes nachreift. Oder fettarmes heimisches Fleisch! Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ein normaler Mensch dieses Zuviel an Harnsäure normalerweise ausscheidet. Also ist die auslösende Ursache nicht selten ein angeborener Stoffwechseldefekt (“primäre Gicht”).
Die Symptome der Gicht sind schnell beschrieben: Geschwollene, gerötete Gelenke, die sehr schmerzen. Meist im Bereich der grossen Zehe. Wird die Erkrankung vorzeitig erkannt, kann sie durch eine entsprechende langfristige Therapie meist gut in den Griff bekommen werden. Dabei ist es zwar schon richtig, dass fetthaltiges Fleisch und Alkohol gestrichen werden sollten. Vergleicht man allerdings die Werte in der Purintabelle der Deutschen Gichtliga, so kann erkannt werden, dass etwa 1/4 l Rot- oder auch Weisswein zu so gut wie keiner Harnsäure führt. Oder das ansonsten so gesunde und schmackhafte Brokkoli die Bildung einer recht grossen Menge an Harnsäure bewirkt. Schauen Sie sich diesen Purin-Kalkulator etwas genauer an – sie werden überrascht sein, welche eigentlich immer wieder empfohlenen, gesunden Lebensmittel sie im wahrsten Sinne des Wortes sauer machen!
http://www.gichtliga.de/Templates/purinrechner.php
Auch der ansonsten in der Ernährungsberatung immer wieder angepriesene Fisch ist mit Vorsicht zu geniessen, schliesslich beinhalten die meisten Arten einen hohen Eiweiss-Anteil. Wir wissen ja inzwischen: Purin entsteht aus dem Abbau von Eiweiss!
Steigt nun bei solchen Menschen kurzfristig der Harnsäurespiegel an, so haben sie meist keinerlei Probleme damit. Bewegt er sich hingegen gleichbleibend auf hohem Niveau, so kommt es urplötzlich zu einem Gichtanfall. Zirka 20 % der Männer über 50 und 3 % der Frauen in diesem Alter besitzen einen erhöhten Harnsäurespiegel – bei jedem 10. davon bricht auch die Erkrankung aus! Das “Zipperlein” (wie die Gicht im Volksmund bezeichnet wird) ist also gar nicht mal so selten! Dabei ist die sog. “sekundäre Gicht” (die Ursache ist eine Erkrankung oder Störung) in unseren Breitengraden der Hauptauslöser, da sich viele Menschen falsch ernähren, an Übergewicht und Bluthochdruck leiden und zu wenig Bewegung haben. Purinreiche Lebensmittel sollten – wenn überhaupt – nur in geringen Mengen verzehrt werden. Innereien, Tomatenketchup, Rosenkohl aber auch geröstete Erdnüsse oder Bier (aufgrund der Hefe) beinhalten sehr viel Purin, das nahezu 1:1 in Harnsäure abgebaut wird. Pro Tag sollten max. 400 mg Purin in den Körper gelangen – das ist gar nicht mal so einfach. Allerdings wirkt nicht nur die Purin-Zugabe als verursachend – auch der Abbau von Körperzellen (wie beispielsweise bei der Leukämie) führt zu einem Anstieg der Harnsäurekonzentration.
Der Vollständigkeit erwähnt sei das Lesch-Nyhan-Syndrom, das vornehmlich bei Jungen vorkommt. Dabei produziert der Körper aufgrund eines Gendefektes mehr Harnsäure, als abgebaut werden kann. Dieses Syndrom allerdings ist sehr selten. Fakt ist jedoch, dass in den meisten Fällen die Gicht weitervererbt wird.
Wird nun die Harnsäure-Konzentration im Blut nicht korrigiert bzw. deren Produktion eingeschränkt, so leidet am meisten die Niere darunter. Es kommt zu Knotenbildungen, Nierensteinen oder auch zu einer Niereninsuffizienz. Im schlimmsten Falle wird eine Dialyse oder Nierentransplantation notwendig.
Die Akut-Behandlung setzt vornehmlich bei einer Vorbeugung der Schmerzen eines Gichtanfalles an. So hilft neben der chemischen Keule durch Medikamente (wie Naproxen, Prednisolon oder Diclofenac) auch eine Eispackung und die Ruhigstellung der betroffenen Körperpartie. Dann geht es daran, den Säuregehalt dauerhaft zu senken. Auch hier helfen Medikamente wie etwa Allopurinol oder Febuxostat, die jedoch schwere Nebenwirkungen wie beispielsweise Störungen des Verdauungstraktes oder allergische Hautreaktionen aufweisen. Wird der Harnsäurespiegel gesenkt, so treten innerhalb der ersten vier bis sechs Monate immer wieder akute Gichtfälle auf (Rezidivattacken), da die Kristalle, die sich inzwischen gebildet haben, abgebaut werden und somit erneut Harnsäure bzw. Ammonaik freisetzen. Studien haben ergeben, dass rund 90 % der Gichtpatienten in den nächsten 5 Jahren nach dem ersten Schub, zumindest einen zweiten erleiden. Damit die Nieren nicht geschädigt werden, muss viel Flüssigkeit getrunken werden (2 Liter – mehr spült nicht automatisch mehr Harnsäure weg). Das A und O der Behandlung ist allerdings die bereits angesprochene Ernährungsumstellung: Weniger Fleisch und Fisch, weniger Alkohol, keine Innereien! Sollten nun die Veganer aufschreien: “Siehst Du – ich hab’s Dir ja gleich gesagt!”, dann möchte ich hierbei nicht unerwähnt lassen, dass Tofu einen mittleren Puringehalt aufweist (68 Milligramm gebildete Harnsäure pro 100 Gramm). Milchprodukte hingegen sind praktisch purinfrei! Auch wenn Obst generell einen niedrigen Puringehalt aufweist, so wird beim Abbau des enthaltenen Fruchtzuckers der Energieträger ATP benötigt, der u.a. aus Purinen aufgebaut wird! Auch dies führt zu einem kurzfristigen Anstieg des HS-Gehaltes im Blut. Fette, völlig gleichgültig ob pflanzlichen oder tierischen Ursprungs, gesättigt oder ungesättigt) beinhalten ebenfalls nur wenig Purin – bei deren Abbau jedoch entstehen Ketonkörper, die wiederum die Ausscheidung von Harnsäure behindern. Übrigens werden derartige Ketonkörper auch bei strengem Fasten durch den Körper freigegeben.
Hoher Puringehalt (ergibt viel Harnsäure):
Erbsen, Fleisch- und Hefeextrakt, Forelle, Hering, Kabeljau, Kalbfleisch, Leber, Linsen, Makrelen, Muscheln, Nieren, Pute, roher Schinken, Rindfleisch, Sardellen, Sardinen, Schellfisch, Schweinefleisch, Suppenwürfel, weisse Bohnen.
Mittlerer Puringehalt (nur gelegentlicher konsumieren):
Aal, Austern, Bouillon, Ente, Erdnüsse, Garnelen, gekochter Schinken, Huhn, Hummer, Kidney-Bohnen, Krabben, Pilze, Spinat.
Geringer Puringehalt (hier können Sie zulangen):
Brot, Eier, Früchte, Getreide, Kaffee, Kartoffeln, Käse, kohlensäurehaltige Getränke, Margarine, Milchprodukte, Nudeln, Reis, Salat, Schokolade, Spargel, Tomaten, Zucker
Übrigens produziert der Körper selbst pro Tag zwischen 3-400 mg Purin!
Positiv auf die Konzentration der Harnsäure im Blut wirken offenbar Kaffee und bei gesunden Menschen auch Vitamin C (bei Gichtpatienten ist es nicht wissenschaftlich nachgewiesen). Die Homöopathie schwört auf Colchicin. Das Gift der Herbstzeitlosen wirkt auf den Menschen in hoher Dosis tödlich, da es die Atmung lähmt. Auch in geringerer Konzentration treten bei manchen Menschen Nebenwirkungen wie etwa Durchfall auf. Colchicin ist ein Gift – das sollte immer beachtet werden. Deshalb gelangt es heute auch weniger zur Anwendung. Es hindert die Leukocyten bei der Aufnahme der Harnsäurekristalle und mindert so die ansonsten auftretende Entzündungsreaktion. Somit also nur eine Behandlung der Symptome – nicht der Ursachen.
Übrigens – viele Menschen haben einen erhöhten Harnsäurespiegel, jedoch niemals Beschwerden. Eine Konzentration von über 7,5 mg/dl sollte auf jeden Fall gesenkt werden, bereits ab 6,5 mg/dl werden Depots an Kristallen gebildet.
PS:
Mein Bekannter hat inzwischen Wurst und Fleisch unter der Woche komplett aus seinem Speiseplan gestrichen und verfolgt am Wochenende (wie er es formulierte) die “Einser Philosphie”: Am Freitag ein Viertel Rotwein, am Samstag ein Bier und am Sonntag einen kleinen Radler – mehr nicht! Trotzdem ist er nicht beschwerdefrei. Auch während unseres Treffens hat er zwei grosse Spezi verdrückt. Doch gibt es mehrere positive Begleiterscheinungen:
- er unterstützt damit nicht die grauenvolle Fleischindustrie
- mehr Gemüse macht auch die Kartoffeln bzw. den Reis interessanter
- die kleinen Sünden am Wochenende schmecken besser und können so richtig genossen werden
- auch das Geldbörserl wird geschont!
Doch Vorsicht: Es wird weniger Fett aufgenommen, das ja eigentlich das Hungergefühl bekämpft. Somit braucht der Körper mehr – auch Kohlenhydrate! Es droht somit erneut Übergewicht!
Links:
http://www.gichtliga.de
http://www.ernaehrung.de
http://www.bls.nvs2.de/
http://www.aqed.de/
http://www.eatrack.de
http://www.dgem.de
http://www.clinicaltherapeutics.com
Lesetipps:
- Diät bei Gicht und Harnsäuresteinen; Nepomuk Zöllner, Brigitte Zöllner; Falken Verlag (1990)
- Ernährung in Prävention und Therapie; C. Leitzmann, et al; 3. Auflage; Hippokrates, Stuttgart (2009).
- Ernährungsmedizin; Hans-Konrad Biesalski et al; Thieme Verlag (2004)
- Adipositas: Ätiologie, Folgekrankheiten, Diagnostik, Therapie; Alfred Wirth; Springer-Verlag Berlin (2007)
- Diseases of the kidney & urinary tract; Robert W. Schrier; 8. Auflage; Lippincott Williams & Wilkins (2007)